fantastische Bücherwelt

von Büchern, Spleens & Listen

Zitate: Christoph Marzi - Heaven. Stadt der Feen

Allesamt befanden sie sich auf einem Dach, wo ein scharfer Wind wehte und die Rauchschwaden aus den vielen Kaminen wie lebendige Wesen die Finsternis berührten.

Die Toten hatten ein Gespür für lebendige Herzen, in denen das Glück daheim war. Das kam wohl daher, dass sie tot waren und sich nach einem warmen schlagenden Herzen sehnten.

Er mochte diese nächtlichen Ausflüge, weil die Stadt anders war, wenn die Sonne nicht mehr schien. Die vielen Lichter webten einen geheimnisvollen Zauber in die Straßen und Gassen und brachen sich in dem zarten Schleier aus Nebel und Nieselregen, der so typisch für London war. Alles wirkte auf eine schmutzige Art und Weise verwunschen, als seien die Märchen, an deren Wahrheiten man als kleines Kind glaubte, erwachsen geworden.

Wenn er über die Dächer lief, dann wurde ihm bewusst, wie nah man sich doch die meiste Zeit über an einem Abgrund bewegt, der nur darauf wartet, einen zu verschlingen.

All die Menschen, sie rannten aneinander vorbei und manchmal kam es vor, dass sich zwei kennenlernten. Dass sie Dinge taten, die ihr Leben schön machten oder die sie bereuten, noch ehe die Nacht vorbei war.

David dachte an die Abgründe, die sich manchmal auftaten, nicht nur auf Dächern.

Im Dämmerlicht des kleinen Ladens roch es nach Staub und Papier, nach Plüschsesseln und Regalen aus altem Holz. Orientalische Träume schwebten im Dämmerlicht, leise Lieder vom Licht ferner Wüsten und der Ruhe einer Rast. Eine Heizung klapperte irgendwo und ein Kühlschrank summte versteckt zwischen den Regalreihen. Doch über allem hing der Geruch nach Fernweh und Reiselust.

Wie eine literarische Miss Marple fahndete sie nach seltenen Ausgaben alter Bücher, manchmal im Auftrag ihrer Kunden, manchmal einfach nur so.
Und weil es anstrengend war, Bücher aufzuspüren (Miss Trodwood behauptete manchmal, je älter sie wären, desto stärker zeigte sich ihr eigener Wille), ging sie Abend für Abend Punkt acht Uhr ins Bett.

Ihre Pfade hatten sich in der Nacht gekreuzt, und wenn seltsame Zufälle wie dieser etwas zu bedeuten hatten, dann musste man die Gelegenheiten, die sich einem so boten, einfach festhalten.

Er wusste, wie es sich anfühlt, wenn einem die Luft abgeschnitten wird, weil das Leben, das jemand von einem erwartet, nicht das Leben ist, das man leben will.

Er streckte die Hand aus und berührte die Buchrücken, als würden sie ihm Geheimnisse zuflüstern können, wenn er sie anfasste. Doch die Bücher schwiegen, wie gute Bücher es zu tun pflegen, wenn man sie berührt, ohne dass sie einem gehören.

Wenn es Tage gab, an denen man fremde Leben streift, wie traumwandlerische Bilder einen heimsuchen im kurzen Moment des Erwachens, dann war dieser Tag genau so ein Tag.

Warmes Licht schimmerte in den Fenstern und beleuchtete die klassische alte Holzverkleidung, als glühe dort eine Seele, die aus den Geschichten der früheren und heutigen Besucher geboren worden war.

David dachte an die alten Fotografien, die jeder mit sich herumträgt. Sie sind an den Rändern zerfranst und bedeckt mit Rissen und braunen Flecken. Nur selten betrachtet man sie, doch insgeheim weiß man, dass sie alle Postkarten sind, die man nie mehr loswerden wird.

Das viktorianische Gebäude, das wie ein Wächter mit hohlen Fensteraugen zur Straße blickte, erinnerte an den Eingang zu einem zerfallenen Palast, in dem noch immer verwunschene Wesen hausen mochten.

Dichtes Gestrüpp wuchs zu beiden Seiten des Weges, der sich, immer enger und enger werdend, durch die Nacht schlängelte. Alles wirkte, als hole sich die Natur zurück, was ihr einst genommen worden war.

Am Horizont ging die Sonne auf, irgendwo an einem fernen Ort, der viel wärmer war als dieser hier. Sie beleuchtete die Wolken und gab dem Leben die Farben zurück.

“Wir haben immer so große Erwartungen an unser Leben. Dabei könnte man es einfach haben.”

Die Sekundenbruchteile fügten sich leise zu etwas Neuem, Kristallklarem und Wunderbarem zusammen.
Doch keiner von beiden wusste wirklich, ob dies schon der Moment war, der alles verändern würde. Und weil sie es noch nicht wirklich wussten und Menschen, die Dinge wie diese noch nicht wirklich wissen, normalerweise dazu neigen, etwas zu tun, dass sie von all diesen Dingen ablenkt, und weil die großen Erwartungen, die man an das Leben hat, wie kleine gemeine Stolpersteine sein können; deswegen und wegen all dem anderen auch verließen sie das Dach und gingen hinunter in die Wohnung, nicht ahnend, dass der Tod, hat er die Fährte gefunden, sich wie ein Tier aus dem Hinterhalt nähert.

Sie überquerten die stark befahrene Straße, wo die Abgase der Autos wie befreite Geister in der Luft schwebten. Es waren Schleier, fast unsichtbar, so filigran.
Magie, dachte David, hat wirklich viele Gesichter.

5 Kommentare:

Katha 17. Juli 2009 um 10:21  

Ooh, was für wundervolle Zitate!! Ich muss dann schnell wieder zu Heaven zurück! ;)

Anonym 17. Juli 2009 um 11:35  

sehr schöne Zitate! Jetzt kann ich es kaum noch erwarten mit Heaven anzufangen:)

Nina 17. Juli 2009 um 12:41  

Ich glaube, ich fange jetzt auch mit dem Buch an. Sofort. =)

Seychella 17. Juli 2009 um 13:41  

Viel Spaß mit Heaven! *grins*
Wirklich ein wunderbares Buch, das ich vielleicht passend zur Jahreszeit noch mal im November lesen sollte...

Anonym 28. Mai 2011 um 19:42  

ich hab das buch gelesen und fand es einfach toll bei diesen super zitate will ich es direkt nochmal lesen :)


Herzlich Willkommen in meiner fantastischen Bücherwelt - ich freue mich, dass du den Weg hierher gefunden hast, und hoffe, dass es dir hier gefällt.

Auf meinem Lesetisch stapeln sich:
Susanne Gerdom - Elbenzorn
Yasmine Galenorn - Die Hexe
Tolkiens Geschöpfe

Follower